linalupa – Teil 1: Die Wahl der Materialien

Die Berichte über die mehr als tausend Menschen, die beim Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch im Jahr 2013 umgekommen sind, die Bilder von riesigen Kleiderbergen auf Müllhalden[1] und Dokumentarfilme über verendete Tiere, die mit Mägen voller Plastik verhungert sind; das sind nur einige der Beispiele, die dazu geführt haben, dass wir uns mit den Produktionsbedingungen in der Modeindustrie auseinandergesetzt haben. Es ist uns nicht leichtgefallen, uns in der Flut von Informationen zurecht zu finden. Noch schwieriger ist es, aus dem Leid, das wir oft nur aus Newsbeiträgen kennen, Schlüsse für das eigene Handeln zu ziehen und Gewohnheiten zu ändern. Wie sollten wir also vorgehen? Wir beschlossen, mit der Beantwortung zweier Fragen zu beginnen: Wer macht unsere Kleidung? und Woraus besteht sie eigentlich?

Dieser erste von zwei Magazinbeiträgen fasst unsere Erkenntnisse zusammen, die wir beim Versuch, die Frage nach dem Woraus zu beantworten, gewonnen haben. Aus diesen Erkenntnissen haben wir die zehn Leitsätze von linalupa abgeleitet.

Plastik – auch in der Mode die Nummer eins

Zur Herstellung von Kleidung und anderen Textilien werden Textilfasern benötigt. In den letzten Jahrzehnten hat sich ihre weltweite Produktion von 58 Millionen Tonnen im Jahr 2000 auf 111 Millionen Tonnen im Jahr 2019 fast verdoppelt. Dabei machten synthetische Fasern wie beispielsweise Polyester im Jahr 2020 etwa 62 Prozent der weltweit produzierten Fasern aus.[2]

Vielleicht ergeht es euch ähnlich wie uns damals: Der Begriff synthetisch ist euch nicht fremd, und doch ist die Bezeichnung synthetische Fasern immer etwas abstrakt geblieben? Synthetische Fasern wie Polyester sind Kunststoffe[3] – also das, was wir umgangssprachlich Plastik nennen. Die meisten Kunststoffe enthalten Additive, also zusätzliche organische oder anorganische Bestandteile. Dazu gehören unter anderem Weichmacher, Stabilisatoren wie Flammschutzmittel, oder Färbemittel. Kunststoffe können deshalb unterschiedliche Eigenschaften haben: Sie können formbar, elastisch, bruchfest oder temperaturbeständig sein. Das macht Plastik zu einem sehr attraktiven Werkstoff.

Kunststoffe können hunderte Jahre in der Umwelt verbleiben und sich dort anreichern.

Kunststoffe kommen nicht nur in Textilfasern oder Reifen zum Einsatz, sondern auch im medizinischen Bereich in Form von Implantaten und Apparaturen. Sie können auch als Verpackung nützlich sein, indem sie beispielsweise die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern. Allerdings haben Kunststoffe einen entscheidenden Nachteil: Sie sind persistent. Das heisst, dass sie hunderte von Jahren in der Umwelt bleiben und sich dort anreichern können.

Die negativen Folgen des Plastikkonsums

Im September 2022 hat der Schweizer Bundesrat in Erfüllung von vier Postulaten einen Bericht zum Thema «Kunststoffe in der Umwelt»[4] veröffentlicht. Aus dem Bericht geht hervor, dass pro Jahr in der Schweiz ungefähr eine Million Tonnen Kunststoffe verbraucht werden, also etwa 120 kg pro Person.[5] Und jedes Jahr fallen in der Schweiz etwa 790'000 Tonnen Kunststoffabfälle an, was in etwa 93 kg Kunststoff pro Person entspricht. Von diesen Kunststoffabfällen war etwa die Hälfte weniger als ein Jahr in Gebrauch.

Die OECD geht in ihrem Bericht «Global Plastics Outlook»[6] davon aus, dass sich der Plastikverbrauch und damit auch die Kunststoffabfälle weltweit – ohne, dass auf politischer Ebene Massnahmen getroffen würden – bis ins Jahr 2060 fast verdreifacht haben werden. Ihren Berechnungen zufolge werden jedes Jahr 44 Millionen Tonnen Kunststoffe in der Umwelt landen (heute sind es etwa halb so viele) und die Treibhausgasemissionen[7] sich mehr als verdoppeln.

Die Auswirkungen von Kunststoffen auf die Ökosysteme und die menschliche Gesundheit sind noch weitgehend unklar. Bisherige Studien konnten die reale Wirkung von Plastik auf Organismen zwar noch kaum untersuchen – so ist beispielsweise nicht klar, wie sich Kunststoffe auf die Bodenfruchtbarkeit auswirken, da selbst die Bestimmung der Kunststoffmengen in den Böden noch schwierig ist. Es wird aber vermutet, dass die maximale Toxizität der aktuell in der Umwelt vorhandenen Kunststoffe noch nicht erreicht ist.[8] Als erwiesen gilt mittlerweile, dass Kunststoffe und die darin enthaltenen Additive gesundheitsschädigend sein können, wenn wir ihnen über längere Zeit ausgesetzt sind. Wie, dazu wird zurzeit in fünf grossen Forschungsprojekten der Europäischen Union (EU) geforscht.[9]

Kleidung aus synthetischen Fasern

Dass Kunststoffpartikel auch an den entlegensten Orten vorkommen, dass wir sie zum Beispiel mit unserer Nahrung aufnehmen oder durch die Luft einatmen, liegt daran, dass sie für hunderte von Jahren in der Umwelt verbleiben können, wenn Plastik nicht gesammelt und zum Beispiel thermisch verwertet wird.

In der Schweiz wird mit der Abwasserreinigung, Abfallentsorgung und Strassenreinigung zu verhindern versucht, dass Kunststoffe in die Umwelt gelangen.[10] Gelitterte Abfälle oder Abrieb, der beim Gebrauch von z.B. Reifen oder synthetischer Kleidung entsteht, gelangen aber durch Abschwemmung von Regenwasser oder durch die Luft in Gewässer und Böden.[11]

Die EU schätzt, dass sich aufgrund des Waschens synthetischer Produkte mehr als 14 Millionen Tonnen Mikroplastik auf dem Grund der Ozeane angereichert haben.

Diese kleineren Partikel, die durch Abrieb und die Zersetzung von Kunststoffprodukten entstehen, werden als Mikroplastik bezeichnet. Durch Abrieb verursachtes Mikroplastik wird direkt als kleine Partikel an die Umgebung abgegeben, zum Beispiel jedes Mal, wenn wir synthetische Kleidung tragen und waschen. Schätzungen der EU gehen davon aus, dass 35 Prozent des Mikroplastiks auf synthetische Kleidung zurückgeführt werden kann.[12]

Die Abwasserreinigungsanlagen können zwar auch einen grossen Teil des Mikroplastiks im Abwasser entfernen und mit dem Klärschlamm verbrennen. Dennoch gelangen allein in der Schweiz etwa 15 Tonnen pro Jahr in Gewässer und Böden.[13] Und dort verbleiben freigesetzte Kunststoffe langfristig. Am Beispiel der Ozeane wird das Ausmass deutlich: Die europäische Union geht davon aus, dass sich aufgrund des Waschens synthetischer Produkte mehr als 14 Millionen Tonnen Mikroplastik auf dem Grund der Ozeane angesammelt haben.[14]

Ist das Recycling von Kunststoffen die Lösung?

Modelabels, die Kleidung aus recycelten Kunststoffen herstellen, sind nur einige unter vielen, die die Lösung des Plastikproblems im Recycling von Kunststoffen sehen. Auch uns erschien diese Lösung naheliegend: Synthetische Fasern von Kleidung, die am Ende ihres Lebenszyklus angelangt ist, werden recycelt, um daraus neue Kleidung herzustellen. Tatsache aber ist, dass im Jahr 2020 99 Prozent des recycelten Polyesters nicht von gebrauchter Kleidung stammte, sondern von Plastikflaschen.[15] Wie kann das sein? Und wie funktioniert das Recycling von Plastik eigentlich?

Greenpeace hält das Recycling von Kunststoffen für nicht umsetzbar.

Es gibt bisher zwei Arten des Kunststoffrecyclings: das mechanische und das chemische Recycling.[16] Beim mechanischen Recycling werden Kunststoffe mechanisch zerkleinert, gewaschen und in homogene Pellets umgewandelt. Beim chemischen Recycling werden Kunststoffabfälle in ihre chemischen Bestandteile zerlegt.

Der Greenpeace Report «Circular Claims Fall Flat Again» hält beide Arten des Recyclings für nicht praktikabel und die Verwendung von Plastik deshalb für nicht zukunftsfähig. Die riesigen Herausforderungen fangen schon beim Sammeln und Sortieren von Plastik an: unterschiedliche Kunststoffe müssen auch unterschiedlich bearbeitet und verarbeitet werden. Ausserdem gibt es viele Gegenstände aus Plastik, für die es noch gar keine praktikablen Recyclingprozesse gibt. Gibt es für bestimmte Kunststoffarten die Möglichkeit der Weiterverarbeitung, können sie dennoch nur etwa sechs- bis siebenmal mechanisch recycelt werden. Und jedes Mal gelangen dabei Kunststoffpartikel in die Umwelt.[17]

Der bundesrätliche Bericht «Kunststoffe in der Umwelt» schätzt die Nachteile des chemischen Recyclings als sehr gross ein und empfiehlt, nach Möglichkeit darauf zu verzichten. Zum einen gelangen bei der Weiterverarbeitung toxische Chemikalien in die Umwelt. Und zum anderen ist nicht abzusehen, welches Gefahrenpotenzial von den Verbindungen des schon belasteten Kunststoffs mit weiteren toxischen Chemikalien ausgeht.[18]

Synthetische Fasern versus Naturfasern

Bleibt uns also mit dem Wissen und den Verfahren, die wir heute haben, nur, auf synthetische Kleidung zu verzichten? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht.

Von der Wassermenge, die für die Herstellung eines einzigen Baumwollshirts verbraucht wird, könnte eine Person 2,5 Jahre lang trinken.

Der Anteil von Baumwolle an den weltweit produzierten Fasern betrug im Jahr 2020 etwa 24 Prozent.[19] Für den Anbau von Baumwolle braucht es viel Land und noch mehr Wasser. Allein für die Herstellung eines einzigen Baumwollshirts werden ca. 2'700 Liter Süsswasser benötigt, was etwa der Menge an Wasser entspricht, die eine Person in 2,5 Jahren trinkt.[20] Ausserdem werden grosse Mengen an Pestiziden[21] eingesetzt, die nicht nur die Umwelt belasten, sondern auch der Gesundheit der Arbeitskräfte auf den Feldern schadet. Baumwolle kann ausserdem nicht so leicht recycelt werden. Allerdings ist Baumwolle nicht gleich Baumwolle: Wird Biobaumwolle angepflanzt und zur Herstellung von Kleidung verwendet, kann die Umweltverschmutzung stark reduziert werden.[22]

Eine alternative zu Baumwolle und zu Kunststofffasern bilden nebst Flachs und Hanf halbsynthetische Fasern, die auf Zellulose basieren. Ihr Anteil an den weltweit produzierten und verarbeiteten Fasern beträgt etwa 6 Prozent. Zellulose ist ein wichtiger Bestandteil der Zellwände von Pflanzen und Bäumen. Sie wird mit synthetischen Substanzen zum Beispiel zu Viskose verarbeitet. Nebst dem Einsatz mehrerer Chemikalien besteht eine grosse Herausforderung auch darin, verantwortungsbewusst an die benötigte Zellulose zu kommen. Die Produktion von Zellulosefasern hat sich nämlich zwischen 1990 und 2017 fast verdoppelt. Ein Beispiel, wie zellulosebasierte Fasern umweltschonender produziert werden können, ist Lyocell, auch bekannt unter dem Markennahmen Tencel. Lyocell wird aus Zellulose von mehrheitlich Eukalyptusbäumen gefertigt. Der Vorteil: Sie wachsen schnell und gedeihen auch in Gebieten, die nicht für den Nahrungsmittelanbau geeignet sind. Es kommen kaum Pestizide zum Einsatz und in der Herstellung wird – im Gegensatz zur Viskose – nur eine Chemikalie verwendet, die in einem nahezu geschlossenen Kreislauf wiederverwendet werden kann. Eine weitere Alternative zur Viskose bietet auch Bemberg (auch bekannt als Cupro), das aus Linter gefertigt wird, den Haaren der Baumwollsamen, die nicht für die Garnproduktion verwendet werden können.[23]

Mehr als 350 chemische Substanzen, die zum Beispiel beim Veredeln oder Färben von Stoffen zum Einsatz kommen, weisen besonders umweltschädigende Eigenschaften auf.

Fasern tierischen Ursprungs hatten im Jahr 2020 einen Marktanteil von 2,57 Prozent, wobei es sich bei fast der Hälfte der Fasern um Wolle handelte. Für die Produktion von Wolle werden unter anderem Schafe in Massen gehalten, was Tierschutzprobleme nach sich ziehen kann. Selbst bei zertifizierter Herkunft ist das Tierwohl nicht immer garantiert. Der Anteil zertifizierter oder recycelter Wolle ist klein: er lag im Jahr 2020 bei 1,25 Prozent für zertifizierte und bei 6 Prozent für recycelte Wolle.[24]

Ob die Wahl nun auf synthetische Fasern oder Naturfasern fällt, das Veredeln und Färben von Stoffen belastet die Umwelt zusätzlich. Der Wasserverbrauch ist hoch (bis zu 150 Liter pro Kilogramm Stoff), genauso wie die Verschmutzung von Gewässern durch die eingesetzten Chemikalien. So kommen etwa 3'500 verschiedene chemische Substanzen in der Stoffverarbeitung zum Einsatz, wobei mehr als 350 von ihnen besonders umweltschädigende Eigenschaften aufweisen.[25] Die europäische Union schätzt, dass durch die Färbung und Veredelung von Textilien rund 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung verursacht wird.[26]

Grenzen ziehen – das Fundament unserer zehn Leitsätze

In einer Welt, in der die menschliche Würde und Gesundheit nicht an erster Stelle stehen und das Tierwohl oft nicht geachtet wird, in der die Verwendung von Land, Wasser und allen anderen Ressourcen weder auf die für alle gewinnbringendste und sinnvollste, noch auf die weitsichtigste Art eingesetzt wird, in einer Welt, in der die Abfallbewirtschaftung nicht lückenlos und verantwortungsbewusst funktioniert, hat jede Entscheidung negative Konsequenzen. Was können wir also als kleines Unternehmen tun, das mit Materialien arbeiten muss, die auch in kleinen Mengen[27] auf dem Markt erhältlich sind?

Wir haben uns dazu entschieden, nach bestem Wissen Grenzen zu ziehen und die getroffenen Entscheidungen jedes Jahr zu überprüfen und, wenn nötig, anzupassen. Zu diesen Grenzen gehört, dass wir auf Plastik wann immer möglich verzichten. Da wir Alltagskleidung herstellen, die nicht vor Wasser, Feuer oder anderen Gefahren schützen muss, verwenden wir ihn wenn, dann nur als recycelte oder biologisch abbaubare Beimischung. Verpackt und versandt werden unsere Kleidungsstücke nur in Papier.

Auf Wolle und Seide verzichten wir, da ihre Eigenschaften auch in anderen Fasern zu finden sind und so den Tieren viel Leid erspart werden kann. Wir achten auf die Herkunft der Fasern und wählen wann immer möglich zertifizierte Stoffe aus, um beispielsweise sicherzustellen, dass beim Anbau von Baumwolle oder beim Färben der Stoffe so wenige schädliche Chemikalien wie möglich zum Einsatz gekommen sind. Die Herkunft der Faser ist auch deshalb von Bedeutung, da sie eng mit den Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen auf den Feldern und in den Produktionsbetrieben verbunden ist. Ausserdem verarbeiten wir Restposten, um bereits hergestellte Stoffe nicht ungenutzt zu lassen und ihre Lebensdauer zu verlängern. Um Überproduktion zu vermeiden, produzieren wir unsere Kleidungsstücke in kleinen Auflagen oder auf Vorbestellung.

 

Weiterführende Informationen

Eine Zusammenstellung unserer zehn Leitsätze findest du im Menüpunkt Über uns.

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Referenzen

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