«Das Kreieren von Kleidung hat etwas Spielerisches, Neugieriges und Erforschendes für den Kopf und die Hände.»
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Tatjana Geiger ist Bekleidungsgestalterin, hat als Berufsbildnerin gearbeitet, ihr eigenes Swiss made Unterwäschelabel geführt und bietet seit über 15 Jahren Nähkurse in ihrem Atelier in Basel an. Bei der Entwicklung unserer Tops «Cervia» und «Basilea» war Tatjanas langjährige Erfahrung sehr wertvoll. Sie hat sich die Zeit genommen, Fragen zum Modeschaffen in der Region Basel, zum Einfluss unseres Konsumverhaltens auf das Handwerk und zu den Eigenschaften eines gelungenen Kleidungsstücks zu beantworten.
Tatjana, bei jedem unserer Treffen haben wir die Leidenschaft gespürt, mit der du deine Arbeit machst. Was ist für dich das Schönste an deinem Beruf?
Tatjana Geiger: Mit jedem neuen Stoff, der zum Einsatz kommt und mit jedem neuen Modell, das entsteht, muss man sich neu mit den Eigenschaften des Materials und der Passform auseinandersetzen: Wie verhält sich das Material, wie muss ich den Schnitt erarbeiten, damit alles zusammenpasst und das Modell am Ende so ausgearbeitet ist, wie sich die Kundin das gewünscht hat? Ich muss sehr flexibel sein, um alledem gerecht zu werden.
Natürlich gibt es mit der Zeit Abläufe, an denen man sich orientieren kann. Auch hat man mit den Jahren viele Erfahrungswerte, auf die man zurückgreifen kann. Und trotzdem: Es ist fast jedes Mal wieder eine kleinere oder grössere Herausforderung. Das ist es, was mir Spass macht. Es hat etwas Spielerisches, Neugieriges und Erforschendes für den Kopf und die Hände, das gefällt mir sehr.
Was macht aus deiner Sicht ein gelungenes Kleidungsstück aus?
Für mich ist ein Kleidungsstück gelungen, wenn die Träger*innen sich darin richtig wohlfühlen, ohne Wenn und Aber. Die Kleidung sollte für den Menschen sein, nicht umgekehrt.
Beim Wort Mode denkt man nicht in erster Linie an die Stadt Basel. Zu Unrecht?
Wenn ich durch Basels Strassen gehe, sehe ich in der Tat nicht sehr viele Leute, die interessant und innovativ gekleidet sind. Da sind andere Städte sicher spannender. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich mich vom Stil her auch eher zurückhaltend und nicht besonders trendorientiert kleide. Aber ich finde es gibt ein paar Basler Labels, die absolut schöne und wertige Kollektionen anbieten, und das seit Jahren. Ja, vielleicht nicht sonderlich exaltiert oder «Hollywood-/Laufsteg-tauglich», aber gut verarbeitete, tolle Modelle, die für viele Lebensbereiche kleidsam sind. Und wir haben in Basel ein paar kleinere Läden, die sehr interessante europäische Labels führen. Ich finde, da gibt es viele coole Kleider zu entdecken.
«Ich finde es wichtig, den Überfluss zu reduzieren.»
Was würdest du jeder*jedem von uns raten, beim Kauf von Kleidung zu beachten?
Nicht masslos shoppen. Nichts kaufen, von dem man nicht total überzeugt ist! Wie oft habe ich etwas gekauft mit dem Gedanken: «Ach, das sitzt jetzt nicht optimal, aber das gibt sich oder ich kanns noch anpassen»; oder: «Naja, ein bisschen zu eng, aber wenn ich da noch 2 Kilo weniger habe, dann geht das schon». Halt alle diese Ausreden, mit denen man sich selbst übers Ohr haut, weil man nicht genau hinschaut und aus welchen Gründen auch immer unbedingt etwas kaufen möchte.
Und zweitens: Kleidungsstücke kombinierbar einkaufen. Wenn man diesbezüglich unsicher ist, versuchen, ganze Outfits zu kaufen. Denn ich finde es wichtig, den Überfluss zu reduzieren. Ich glaube, das ist der einzige Weg, wie wir als globale Gesellschaft es schaffen können, unsere Ressourcen zu schonen.
«Man versucht, man scheitert, man fängt neu an. Man investiert so viel an Zeit, Geld und Emotionen und man muss das alles aushalten.»
Wir kaufen so viele Kleider wie noch nie und geben trotzdem weniger für Kleidung aus als noch vor dreissig Jahren. Alle haben sich daran gewöhnt, dass Kleidung günstig ist. Woran merkst du, dass sich das Business rund um Kleidung gewandelt hat?
Ich finde, die Wertschätzung für das Handwerk ist verloren gegangen. Viele wissen nicht, was nötig ist, um Kleidung herzustellen: Es braucht handwerkliche Expertise, fundiertes Wissen über Materialien und viel Zeit, bis am Ende ein hochwertiges Kleidungsstück getragen werden kann. Und es fehlt das ökologische Bewusstsein für die wahren Kosten für Mensch und Umwelt.
Im Bereich der Bildung wird aus meiner Sicht ein immer stärkerer Fokus auf akademische Abschlüsse gelegt. In den Schulen erlernen die Kinder nicht mehr so viele oder gar keine handwerklichen Fertigkeiten mehr, dafür aber immer mehr digitale Kompetenzen. Wie sollen die Menschen so einen Bezug zum Handwerk behalten? Das ist auch bei der Besetzung der Lehrstellen in vielen Handwerksberufen ein grosses Problem.
Dazu kommt, dass viele Menschen nicht mehr bereit sind, ihre arbeitsfreie Zeit für Dinge wie Kochen, Spielen, Handarbeiten zu «opfern» – es ist ja alles zu sehr günstigen Preisen verfügbar. Und zudem ist es recht mühsam, sich etwas zu erarbeiten: Man versucht, man scheitert, man fängt neu an. Man investiert so viel an Zeit, Geld und Emotionen und man muss das alles aushalten. Auch das sind Themen, die unserer Gesellschaft nicht mehr so leichtfallen. Wir sind es gewohnt, alles jederzeit und ohne grossen Aufwand zur Verfügung zu haben.
Natürlich erlebe ich in meinen Nähkursen und auch sonst in meinem Umfeld ganz viele Leute, die anders unterwegs sind. Ich frage mich aber oft, ob das einfach meine «Bubble» ist und wie stark diese Bewegung wirklich ist.
Was denkst du bräuchte es, um den Konsum von Kleidung in eine verantwortungsbewusstere Richtung zu lenken?
Sich dafür entscheiden, die eigenen finanziellen Mittel für den Kauf von «anständig» produzierten, langlebigeren und daher auch nachhaltigeren Produkten einzusetzen. Im Alltag versuchen, weniger konsumlastig zu leben und sich mehr Zeit nehmen, Sachen selber zu machen, wie zum Beispiel zu nähen.
Kleidung kann viel: Sie schützt uns, hält uns warm, sie kann unser Selbstbewusstsein stärken, unsere Persönlichkeit unterstreichen, sie kann ein Statement sein oder sogar ein Erinnerungsstück. Welches ist dein liebstes Kleidungsstück, auf das du nicht verzichten möchtest?
Das wechselt immer mal wieder! Letzten Winter war es mein Mantel, der einfach zu allem gepasst hat, bei dem die Farbe perfekt war und den ich wirklich immer getragen habe. Im Sommer war es ein Kleid, das ich in verschiedenen Stoffen und Farben genäht habe. Ich habe drei Stück davon und die haben mich durch den Sommer begleitet.
Weiterführende Informationen
Hast du Lust erste Näherfahrungen zu machen? Oder bist du bereits fortgeschritten und möchtest deine Ideen im kreativen Austausch mit einer erfahrenen Fachperson in die Realität umsetzen? Tatjana bietet in ihrem Atelier über den Dächern von Basel Nähkurse in kleinen Gruppen an. Auf www.naehkurse-basel.ch kannst du dich informieren und auf die Warteliste setzen lassen.